Kurzgeschichten



Ein großes Geschenk



Nach einer wahren Geschichte

In einem kleinen Ort, ganz in der Nähe von Paris, lebte einst ein Bäckermeister, der jeden Tag frische Brötchen und leckere Croissants backte, und ein riesengroßes Herz hatte.
Louis Travel begann als 14-Jähriger in der Bäckerei seiner Familie in Paris eine Lehre, hat mit Liebe und Überzeugung viele Jahre im elterlichen Betrieb gearbeitet, aber auch, weil er seinen Vater nicht enttäuschen - und die Familientradition fortführen wollte. Inzwischen hat sich der füllige, großgewachsene Mann, mit den schlohweißen vollen Haaren und dem sanften Gemüt, zur Ruhe gesetzt.

Es war im Jahr 2012, - kurz vor Weihnachten. Die Bäckerei war schon morgens voller ungeduldiger Menschen, die ihre Bestellungen zum Fest aufgegeben wollten. Louis Frau Adele stand mit frisch gestärkter weißer Schürze hinter der Ladentheke und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Eine junge Mitarbeiterin reichte lächelnd eine Brötchentüte über den Tresen. Im Laden duftete es herrlich nach frischem Brot und gemahlenem Kaffee.
In der Backstube wurden die letzten Bleche mit Savarins aus dem Ofen geholt und für den Verkauf mit Zuckerguss überzogen. Das Gebäck hatte die Form eines Donuts.
Nicht ganz gesund und etwas müde, überlegte sich Louis die Bäckerei abzugeben und sprach abends wieder einmal mit seiner Frau Adele darüber, wie schön es doch wäre, wenn jemand aus der Familie die Bäckerei übernehmen würde. Sechs Tage die Woche stand er Jahr für Jahr von Mitternacht bis mittags in der Backstube, backte Brot, Kuchen und Torten. Seine 2 Töchter zeigten keinerlei Interesse an der elterlichen Bäckerei und auch sonst interessierte sich niemand für den netten kleinen Laden in der Kantstraße. Zwei Jahre lang suchte Louis vergeblich einen Nachfolger für sein Geschäft.

Im Dezember 2015 stand er wieder in seiner Backstube und backte seine Spezialitäten mit Herzblut. Die Beine fühlten sich schwer an, er litt schon seit ein paar Jahren unter Arthritis. Eigentlich sollte er schon längst einmal zum Arzt gehen, um sich mal wieder gründlich durchchecken zu lassen. Ab Mitternacht knetete er den Teig für seine knusprigen Croissants und am Nachmittag musste er den Nachtschlaf nachholen. Es blieb einfach keine Zeit für einen Arztbesuch.
Vor zwei Wochen bezog ein junger Obdachloser vor seinem Laden Quartier, ein freundlicher junger Mann, der es im Leben nicht leicht hatte und über seine Vergangenheit nicht gern sprach. Der Mann war stets freundlich und verhielt sich unauffällig, weshalb Louis ihn vor seinem Geschäft duldete. Er hatte meist einen Tarnanzug an und dicke, klobige Springerstiefel.
Jeden Morgen ging Louis hinaus in die Kälte und brachte Achill einen Kaffee und ein Croissant. Sie plauderten kurz über das Wetter und die Leute, die vor dem Fest hektisch herumliefen und immer in Eile waren, während seine Maschinen und Öfen in der Backstube auf Hochtouren liefen.
Es war an diesem Morgen besonders kalt und neblig, als er vor die Tür trat und Achill noch eine Wolldecke brachte, die er sich auch gleich um die Schultern legte, und den Pott mit dem heißen Kaffee mit beiden Händen umschloss. Louis mochte den tätowierten Außenseiter, der mit 35 Jahren auf der Straße lebte und noch nie einen richtigen Job hatte. Der Bäcker war dankbar, dass er ein gutes Leben hatte, seine Töchter gesund waren und er mit beiden Beinen im Leben stand, wenn auch seit einigen Jahren nicht mehr auf gesunden.

Im Januar passierte etwas Schreckliches. Louis erleidet in seiner Backstube durch einen defekten Ofen eine Kohlenmonoxyd-Vergiftung.
Es war Achill, der schon in aller Frühe vor der Bäckerei auf- und abging und bemerkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Straße war noch dunkel, er sah nur wenige Lichter in den Häusern, und freute sich schon auf den warmen Kaffee vor der Bäckerei. Die Stille in der Backstube ließ ihn aufhorchen. Er schaute durch das Fenster in die beleuchtete Werkstatt und sah den Bäckermeister regungslos am Boden liegen. Sofort eilte er durch den Hintereingang hinein, griff nach dem Telefonhörer an der Wand und wählte den Notruf. Durch seine Treue und Entschlossenheit rettete er dem Bäcker das Leben. "Wäre Achill nicht gewesen, wäre ich nicht mehr am Leben", erzählte Louis seiner Familie am Krankenbett. Als er nach zehn Tagen aus dem Krankenhaus kam, bot er Achill einen Job in seiner Bäckerei an. "Ich habe mein Leben lang Brot gebacken und bin jetzt müde", erzählte er ihm ein wenig erschöpft. Das Funkeln in seinen Augen war erloschen und die Körperhaltung drückte Resignation aus. „Du sollst in meine Fußstapfen treten. Ich werde dich ausbilden und dich begleiten, bis du das Geschäft selbst führen kannst.“ Bei diesen Worten legte er zuversichtlich die Hand auf Achills Schulter, während ihn dieser aus großen Augen anblickte.

Anstatt die Bäckerei zu verkaufen, überließ Louis dem 35-Jährigen sein Geschäft für den Preis von einem Baguette, - für einen symbolischen Euro. Natürlich konnte Louis sich noch nicht gleich zur Ruhe setzen. Achill musste das Bäckerhandwerk erst von Grund auf erlernen.

Diese Geschichte hat sich vor Jahren so zugetragen, - die Namen habe ich geändert.

Gelesen: 14   
Autoren denen dieses Gedicht gefällt:

Teilen ausdrücklich erwünscht!

AUTOR:

Liebe Freunde der Poesie,
Schreiben, Malen und Fotografieren sind drei meiner vielen Hobbys. In diesem Forum könnt ihr über 800 Gedichte von mir lesen. Ich schreibe über Geschehnisse im Alltag, über Urlaubserinnerungen und hoffe mit Denkanstößen aufrütteln zu können. Wer die Geschichte von Eduard verfolgen möchte, ist hier genau richtig. Inzwischen umfasst die Geschichte über 40 Teile.
Wenn ihr etwas tiefer in meine Welt eintauchen möchtet, besucht mich auf meiner Homepage.

Mit lieben Grüßen, Gudrun Nagel-Wiemer


ÄHNLICHE GEDICHTE





4 KOMMENTARE



04. November 2018 @ 08:10

Nathia, danke für deinen netten Kommentar. Diese Begebenheit ist es wirklich wert, erwähnt zu werden. LG Gudrun


03. November 2018 @ 21:28

Eine wirklich schöne Geschichte, die glücklich macht. Ich wünsche mir mehr davon in dieser kalten Welt.
Liebe Grüße Nathia


02. November 2018 @ 11:18

Liebe Hanni, dass tolltste an der Geschichte ist, dass es sich genau so zugetragen hat. Das ging damals durch die Medien und hat mich so berührt, dass ich es später einmal aufgeschrieben habe. Dir ein schönes Wochennde, Gruß, Gudrun


02. November 2018 @ 10:14

Hallo Gudrun, da hast Du eine wunderschöne zu Herzen gehende Geschichte geschrieben. Ich konnte garnicht mehr aufhören zu lesen. Einen schönen Tag und liebe Grüße Hanni



SCHREIBE EINEN KOMMENTAR

mind. 20 Zeichen

Login

Noch keinen Account? Melde Dich hier an!
Passwort vergessen?

Meist Gelesene Gedichte

862+
Frühling

828+
Das Versprechen

617+
FRAG MICH NICHT

585+
Ein bisschen Spaß muß se...

552+
Für eine schöne Frau

414+
Zwei glückliche Marienkä...

395+
Urlaubsgruß

309+
Rentner haben keine Zeit (...

211+
Kleine Tiere , große Wund...

205+
Winter


- Gedichte Monat

2+
Vielleicht, vielleicht auc...

1+
Dialog mit Gott

1+
Frauen an der Klagemauer

1+
Der Tag

1+
Stunden der Muße


- Gedichte Jahr

4+
An manchen Tagen

3+
D E U T S C H U N T E R R ...

3+
Die Heimsuchung.

3+
Nichts tut mehr weh.


Neusten Kommentare

bei "Alles Gute zum Geburtstag"

bei "Ehekrach"

bei "Die guten alten Zeiten"

bei "Ist so etwas gerecht?"

bei "Die guten alten Zeiten"

bei "Ehekrach"

bei "Ist so etwas gerecht?"

bei "Ehekrach"


Herzlich Willkommen!











Zufallsgedichte

KATHARSIS IM HEIßLUFT - B...

Der Skilehrer

Der Tag

Zwei unheimliche Stunden

Der Penner




Feuer Feuerwerk November Ferne Fragen Freund Freibad Neid Freude Freunde Frei Neubeginn Firma Neujahr Notlage Flügel Fest Flugzeug Frau Freundin Naturgewalt Nebelschwaden Flüsse Flut Obst Nest Freitag Frauen Freundschaft Freiheit Obdachlose Netz Obdachlos Frage Klopapier Fluss Nebel Friede Fenster Freizeit