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Telefon 33 98 11

 

 

Ich sitze im Büro und sortiere einen Stoß bezahlter und unbezahlter Rechnungen, die schon länger als vier Wochen darauf warten, bearbeitet zu werden. Das ist eine Nachlässigkeit von mir, die ich aber wohl beibehalten werde, solange ich lebe. Sitzende Tätigkeit ist für mich schlimm; ich glaube manche Strafe würde ich besser aushalten. Für mich gibt es nur eine Arbeit, die mir Freude bringt, mit der ich verwachsen bin, die zu mir passt, die eines Gastwirts, eines Tanzlokalbesitzers. Dieses lockere Leben voller Neuigkeiten, voller Schwung und voller Spannung, in dem es mir von morgens früh bis abends spät in den Gliedern kribbelt, wo mich die verschiedensten Ereignisse in den verschiedensten Schattierungen überschütten, wo ein Ereignis das andere jagt: in diesem Leben bin ich verwurzelt. Sobald ich aber an meine Geschäftsbücher oder an meine Geschäftspapiere denke, überläuft mich ein kalter Schauer. Doch was hilft dieses ablehnende Gefühl, sie gehören nun einmal dazu.

Der Wind hat sich beruhigt, das Rauschen der Blätter ist kaum noch zu hören. Ich werfe einen Blick auf die alte Standuhr, es ist zwanzig nach acht, die ersten Sonnenstrahlen fallen ins Zimmer und zeichnen große, dunkle Schatten der Topfpflanzen auf den Teppich. Das Sitzen wird mir zur Qual, das Schreiben und Sortieren macht mich nervös, ich gehe ans Fenster und schnappe nach Luft, meine Hände umklammern einen Blumentopf, als wollten sie ihn zerdrücken. Weit beuge ich mich hinaus und sehe auf die Straße, auf die weiß und gelb getünchten Häuser, zwischen denen kein Mensch, kein Auto, nicht einmal ein Hund oder eine Katze zu sehen ist. Ich werde unruhig, ohne den Grund zu wissen. Die Krawatte wird mir lästig, ich reiße sie vom Hals, drücke sie zu einem Knäuel und werfe sie auf einen Sessel, aber das bedrückende Gefühl werde ich nicht los. Ich will hinuntergehen und einen Cognac trinken, aber noch bevor ich die Tür erreiche, schrillt das Telefon. Ich erschrecke und wage mich nicht umzudrehen, ich bohre mir die Finger in die Ohren, versuche das Klingeln abzuschütteln, aber es bannt mich. Warum nehme ich den Hörer nicht aus der Gabel, es kommen doch jeden Tag, manchmal jede Stunde Anrufe ? Mache ich mir etwas vor ? Ich reiße den Hörer ans Ohr und spreche etwas lauter als gewöhnlich in die Muschel. Ich höre - nach einem kurzen Rauschen und Kratzen - eine Männerstimme: "Kriminalkommissar Thalmann, ist dort 33 98 11, Herr Förster? " Meine Augen werden grösser, der Mund öffnet sich von selbst, ein Kloss im Hals verstopft mir die Sprache. Was will die Kriminalpolizei von mir? Mir droht der Kopf zu platzen; doch ich muss antworten, ohne die Verfassung zu verraten, in der ich jetzt bin. "Sie sind richtig verbunden", sage ich mit etwas beschlagener Stimme. Wir verabreden ein Zusammentreffen für den nächsten Tag um zwei Uhr nachmittags.

*

Ganz genau erinnere ich mich an eine Zeit, die jetzt mehr als fünf Jahre zurückliegt. Es war Winter. In einem Hotel in einer Kleinstadt hatte ich Quartier bezogen. Das Zimmer war klein und in keiner Weise einladend: Ein schmales Bett, ein Nachtschrank, die Gardinen hatten überall altersschwache Stellen, aber ich musste damit vorlieb nehmen. Meine Firma, bei der ich damals noch als Vertreter arbeitete, hatte mir gekündigt; so zog ich umher und verdiente mein Geld, wo sich eine Gelegenheit dazu bot. Ich war Kellner, Buffettier, Taxifahrer, Eisverkäufer, jede Arbeit war mir willkommen, die nach Geld roch. So schnell ich jedoch Geld verdiente, gab ich es auch wieder aus. Bars und Tanzlokale wirkten auf mich wie Magnete, Mädchen, denen ich darin begegnete, zogen mir den letzten Cent aus der Tasche. Drei Monate machte ich dieses Lotterleben mit, dann kam zufällig die große Chance. Abgebrannt, einen Haufen Schuldscheine in der Tasche, einen Zehneuroschein als eiserne Reserve in der Brieftasche, ging ich in eine Gaststätte. An der Theke wurde ich unfreiwilliger Zeuge einer Unterhaltung. Zuerst glaubte ich, die beiden jungen Männer am Tisch hinter mir debattierten über einen Film, den sie gesehen hätten, doch nach einer Weile bemerkte ich, dass ein gut geplanter Einbruch der Gesprächsstoff war. Meine Ohren wurden immer größer, jedes Wort versuchte ich zu erhaschen. Als ich herausgehört hatte, sie brauchten einen dritten Mann. Ganze zwei Tage kostete es mich, um den beiden voll vertrauenswürdig zu erscheinen. Erst dann erzählten sie von sich selber und von dem genauen Plan ihres bevorstehenden Coups, an dem ich, mehr oder weniger notgedrungen, teilnehmen wollte. Gerd war der Ältere, ein robuster, knochiger Bursche mit tief zurückliegenden Augen und pechschwarzem Haar, ein Typ, der schwer zu durchschauen, noch schwerer aber zum Reden zu bringen ist. Er arbeitete in einem Warenhaus, sein Einkommen, nicht gerade gering, reichte trotzdem der Umstände wegen nie aus. Seine Mutter, die von einer kleinen Rente lebte, und der noch schulpflichtige Bruder mussten mit ernährt werden, für die Anschaffung eines Autos, das er sich sehr wünschte, fehlte es immer und immer wieder.

Uwe hingegen war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt, er wollte aus Abenteuerlust stehlen und hinterher Geld ausgeben; von Arbeit hielt er überhaupt nichts. In einer Augustnacht war es dann soweit. Mit einem Leihwagen fuhren wir in die sechs Kilometer entfernte Kleinstadt, parkten vor einem großen Gebäude, zogen die Mützen ins Gesicht und huschten in einen engen Gang, der um das Haus führte. Entschlossen, das "große Ding" schnellstens abzuwickeln, kletterten wir über einen zwei Meter hohen Zaun, schlichen zu einer Tür, die in den Keller führte und lauschten. Kein Laut war zu hören. Ich hatte Angst, das erste Mal im Leben richtige Angst. Der Gedanke an das, was in wenigen Minuten passieren sollte, machte mich fertig, ich zitterte am ganzen Körper, der Schweiß drang mir aus allen Poren. Meine Mahnung, noch zu warten, bis die Luft richtig rein sei, blieb ungehört. Gerd und Uwe versuchten schon die Tür mit einem Dietrich zu öffnen. Der Anfang war also gemacht und ich somit gezwungen standhaft zu bleiben. Jedoch jeder Versuch von mir, ein Werkzeug zu betätigen, schlug fehl, die Hände machten einfach nicht mit. Plötzlich wurde es hell neben uns, eine Taschenlampe strahlte an die Wand. Langsam kam der Lichtkegel in unsere Richtung. Wie angewurzelt blieben wir stehen. "Polizei" ging es mir wie ein Blitz durch den Kopf. Eine Sekunde später war es soweit, der taghelle Schein erfasste uns. Wir rührten uns nicht einen Zentimeter vom Fleck, wir waren schockiert. Die Taschenlampe kam näher, langsam, Meter für Meter. Mir blieb die Luft weg, wie durch eine Geisterhand schnürte es meinen Hals zusammen. Zehn Schritte vielleicht noch, dann würde die Person mit der Lampe unweigerlich vor uns stehen. Doch es kam anders. - Das Licht ging aus, stockfinstere Nacht umhüllte uns. Dann brüllte eine Männerstimme: "Einbrecher, verdammtes Gesindel, verschwindet oder ich rufe die Polizei!" Mit einem Blitzstart rannten wir in Richtung Zaun, Minuten später raste unser Leihwagen die Landstrasse hinunter. Erleichtert atmeten wir auf. Am nächsten Morgen packte ich meine Sachen und fuhr zurück in meinen Heimatort.

*
In der letzten Nacht habe ich kein Auge zugemacht, der gestrige Anruf der Kripo ließ mir keine Ruhe. Es ist halb drei, in dreißig Minuten muss ich im Präsidium sein. Meine Glieder zittern wie Espenlaub, während ich meine Krawatte schluderhaft binde, meine Gedanken überschlagen sich. Hat die Polizei diesen so lange zurückliegenden Einbruchsversuch noch bearbeitet? Aber warum sollte sie - es wurde doch nichts beschädigt? Noch zwanzig Minuten, ich muss den Mantel anziehen und mich auf den Weg machen. Da schrillt das Telefon, zögernd greife ich zum Hörer, führe ihn langsam ans Ohr. Mit fast ruhiger Stimme melde ich mich: "Hier Förster!" "Ach, gut, dass ich sie noch antreffe", dröhnt es mir ins Ohr, "Hier spricht Thalmann, Kriminalpolizei. Guten Tag Herr Förster!"

Ich werde nervös, beiße die Zähne fest zusammen, lausche. "Es ist etwas Furchtbares passiert, Herr Förster, ich bitte tausendmal um Entschuldigung, aber Sie wissen ja selbst, wie es ist, wenn man überarbeitet ist. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, um es kurz zu machen, Herr Förster: Ich habe gestern die Telefonnummer verdreht, und zwar die 98 mit der 89, aber wie der Zufall es wollte, meldeten Sie sich mit dem gleichen Namen, den auch unser gesuchter Mann trägt. Nach Ihrem Vornamen zu fragen, habe ich leider vergessen. Vor zehn Minuten habe ich meinen Fehler bemerkt; ich bitte Sie aus diesem Grunde nochmals um Verzeihung." Er machte eine lange Pause, bevor er hinzufügte: "Ich hoffe, Sie nehmen mir mein Missgeschick nicht allzu übel?"

Diese Worte, die wie von einer Schallplatte herunter gerattert kommen, lassen mich aufatmen und leise durchschnaufen, mit erleichterter Stimme sage ich: "Lassen Sie es gut sein, Herr Inspektor, einen Fehler macht doch jeder mal, doch darüber unterhalten wir uns am besten heute Abend in meinem Lokal, bei einem gepflegten Glas Bier. Ich lade Sie herzlich dazu ein." "Einverstanden!" ruft Herr Thalmann und verabschiedet sich.

© Horst Rehmann

 

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